Lies mal wieder:
Eine Geschichte von Susi Menzel
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Lucky heißt übersetzt „glücklich“ und das bin ich, aber erst seit sehr kurzer Zeit.
Das ist meine Geschichte, die hoffentlich anderen Tieren erspart bleibt!
Im Tierheim ging es mir viel besser als früher in dem Stall, in dem ich seit meiner Geburt gelebt hatte und
kaum einmal das Tageslicht gesehen hatte. Die Menschen, die mir unregelmäßig Futter und Wasser brachten,
schlugen mich oft mit ihren Händen und traten mich mit ihren Füssen und zerrten an der Kette, mit der ich angebunden war,
bis mein Hals blutig war und ich schlimme Schmerzen hatte.
Illustration: Susi Menzel, Minden
Jeder Tierliebhaber schreit auf, wenn er sieht, wie ein Tier getreten wird, und würde sonst was
unternehmen, um solch einen Tierquäler zu einer offiziellen Bestrafung zu bringen. Lucky hat lange
Zeit solche Dinge erleiden müssen. Und dennoch ist er heute sehr freundlich zu Menschen und vertraut ihnen.
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Irgendwann war viele Tage lang niemand mehr gekommen und ich habe vor Hunger und Durst geschrien, genau wie die Kühe,
die in der Nachbarbox standen und ohrenbetäubend den ganzen Tag brüllten. Sie hatten Hunger, aber auch große Schmerzen,
weil ihre Euter voller Milch waren. Schließlich, nach schier unendlich langer Zeit, in der einige Kühe sogar gestorben
waren, kamen Menschen. Sie holten die Kühe ab. Mich hätten sie fast nicht gesehen. Ich war inzwischen so schwach, dass
ich in der dunklen Ecke lag und nur noch leise winseln konnte. Ich verhielt mich allerdings vor Angst vor den Menschen
ganz still, obwohl ich irgendwie wusste, dass sie meine letzte Chance waren, am Leben zu bleiben. Wollte ich überhaupt
noch leben? Ich weiß es nicht. Den Seufzer, der mir bei der Überlegung entfuhr, hörte ein Mann, der mich packte und mich
schnurstracks in ein Tierheim brachte. Auf der Fahrt dorthin war ich sehr erstaunt darüber, dass Menschen auch liebevoll
sprechen konnten. Ob es ein Zeichen dafür war, dass noch schlimmeres als bisher passieren würde? Ich war vor Angst
ganz starr. Aber irgendwie hatte ich auch die Hoffnung, dass es nicht mehr so weh tun würde, wenn ich jetzt in ein anderes Zuhause kam.
Im Tierheim lernte ich ganz langsam, dass Menschenhände schöne Sachen machen können. Man sprach leise mit mir,
liebkoste mich, wenn ich es zuließ und ich traute mich ganz langsam aus dem Zimmer heraus in den Zwinger, in
dem ich frei herumlaufen durfte, wie ICH wollte. Die Pfleger hatten wirklich sehr lange Zeit viel Geduld mit mir. Und dann
sagten eines Tages, dass ich nun auch in die Vermittlung könne. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was das
hieß. Mir ging es gut, ich hatte nette Hundenachbarn, die allerdings oft wechselten und ein neues Heim
bekamen. Was das wohl war? Es kam nie einer zurück, der davon hätte erzählen können. Mir war es egal,
ich bekam jeden Tag mein Fressen, hin und wieder durfte ich hinaus auf die grüne Wiese, die an das Tierheim grenzt.
Anfangs war ich darüber ganz erschrocken. Die Wiese war weich und feucht. Ich hatte ja nie eine kennengelernt und
darum waren die Gefühle unter meinen Pfoten ganz neu und machten mir zuerst Angst. Mit der Zeit fing ich an, sie
zu lieben. Endlich konnte ich rennen und im Gras schnuppern. Auch den Duft hatte ich vorher nie kennengelernt.
Nur den beißenden Geruch unserer Exkremente im Stall, den kannte ich gut. Da roch das Tierheim schon viel besser!
Foto: Susi Menzel
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Manchmal kamen Menschen ins Tierheim, um mit Hunden spazieren zu gehen. Mich nahm selten ein Gassigänger mit.
Vielleicht, weil ich recht ungestüm war und es immer noch bin. Schließlich musste ich so viel Bewegung nachholen.
Das würde sich bei mir jedoch ändern, wenn ich älter wäre, sagten die Pfleger immer, wenn jemand ins Tierheim kam,
um sich einen neuen Gefährten zu suchen. Ob das stimmt, weiß ich nicht so genau, aber die Pfleger haben mehr
Erfahrung mit Hunden als ich. Jedoch hielt diese Information die meisten Menschen ab, sich mit mir zu beschäftigen,
obwohl ich eigentlich ein sehr hübscher Hund bin, denn wenn man mich sah, dann riefen die meisten Menschen entzückt:
„Wie süß!“ und wollten mich sofort streicheln. Aber ich riss jedes Mal aus oder bellte mit fletschenden Zähnen,
weil ich vor fremden Händen doch immer noch so viel Angst hatte.
Die meisten Gassigänger, die ja nur selten ins Tierheim kamen, konnten zwar mit Hunden gut umgehen, waren aber meistens zu schwach,
um mit mir zu gehen. Ich war wild und ängstlich zugleich. Ich wollte alles erkunden, kannte aber nichts vom Leben draußen.
Alle Geräusche und so viele Dinge waren mir gänzlich fremd und unheimlich. Dauernd erschreckte ich mich und rannte panisch
einfach los. Und wenn ich andere Hunde sah, dann rastete ich vor Freude aus und raste sofort auf sie zu. Dabei standen mir
die Menschen oft im Weg. Nicht immer blieben sie dabei aufrecht stehen. Na ja, und Befehle kannte ich auch nicht. Ich hatte
keine Ahnung, was die Menschen meinten, wenn sie „Aus“ oder „Nein“ schrien. Das lernte ich erst mit der Zeit. Befolgen tat
ich es allerdings selten. Nur meiner Lieblingspflegerin, die so gut roch, tat ich manchmal den Gefallen, weil sie sich
dann so herrlich freute.
Fotos: Susi Menzel
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Und dann begann eines Tages die Zeit, in der ein neues Wort ganz oft gesagt wurde: Corona. Niemand wusste, was das genau war.
Die Menschen schienen jedoch besorgt und verwirrt zugleich, wenn sie es aussprachen. Außerdem trug plötzlich fast jeder weiße
oder bunte Masken im Gesicht. Das machte auch uns Tieren Schwierigkeiten, weil wir die Gesichtsausdrücke der Menschen nicht
mehr erkennen konnten und so kam es oft zu Missverständnissen in der Kommunikation. – nicht nur zwischen Hund und Mensch.
Am Anfang dieses Corona – Dingsdas kamen gar keine Besucher mehr zu uns in Tierheim, sodass wir immer weniger Abwechslung hatten.
Manche von uns fanden das „Menschen angucken“ nicht so interessant, manche hatten sogar große Angst vor Fremden, weil sie viel
Schlimmes erlebt hatten, aber mir als Langzeitbewohner gefiel es, sich die verschiedenen Typen anzuschauen und ihre Reaktion
auf mein Anbellen zu beobachten. Hinter meinen Zwingergittern war ich sicher. Die Leute konnten nicht so ohne weiteres
hineinkommen und mir etwas antun. Da war ich immer noch sehr vorsichtig.
Leider kamen in der Zeit auch weniger Gassigänger, was für viele Hunde-Mitbewohner nicht gut war; sie wurden fast depressiv.
Foto: Pixabay
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Nach einigen Wochen änderte sich diese Situation. Wir durften wieder raus! Raus auf die Wiese, endlich wieder
frisches Gras unter den Pfoten haben. Wunderbar war es. Natürlich war die Zeit immer zu kurz, aber besser wie nix.
Ja, und dann gab es jenen magischen Moment. Ein Mensch interessierte sich für mich! Ganz genau, für mich.
Dieser Mensch war eine Frau mittleren Alters, nicht sehr groß, aber sie traute sich, mich mit auf die Tierheimwiese zu nehmen,
trotz meiner stürmischen Begrüßung und meines lauten Juchhu-Bellens. Ich freute mich natürlich außerordentlich über die
Abwechslung und jagte kreuz und quer über das Grün bis ich mich erschöpft und keuchend vor die Frau setzte und sie anschaute.
Als ich wieder Luft bekam, stellte ich mich auf die Hinterbeine, legte ihr leidenschaftlich die Vorderbeine auf die Schultern
und schleckte ihr dankbar das ganze Gesicht ab. Ich registrierte, dass sie zwar schwankte, aber sie fiel nicht um, wie sonst
so einige Menschen, bei denen ich mich überschwänglich für deren Zuwendung bedankte. Die Frau schmeckte und roch zwar nicht
so gut, wie meine Lieblingstierpflegerin, aber für solch eine tolle Abwechslung im Hundealltag nimmt man das in Kauf.
Und dann geschah das Unglaubliche: sie nahm mich mit nach Hause. Ich war überglücklich, denn ich bekam meine eigene,
weiche Schlafstelle und ganz viele Streicheleinheiten. Jeden Tag machten wir vier bis fünf Spaziergänge draußen. Ja,
ihr lest richtig: die Spaziergänge waren draußen im Feld. Dort gab es vielleicht viel zu schnuppern! Massenhaft
Hundemarkierungen und Gerüche von Tieren, die ich noch nie gesehen hatte. Aufregend war das. Jeden Tag aufs Neue!
Nach einiger Zeit ließ mich die Menschenfrau sogar von der Leine und ich konnte mich beim Rennen ganz lang
ausstrecken und meine Schlappohren flatterten im Wind. Herrlich! In den Momenten war ich der schwarz-weiße
Blitz, der frei wie ein Vogel dahinsauste, um dann fröhlich zurück zu der Menschenfrau zu flitzen, um zu
schauen, ob es ihr auch gut geht. Ich bellte ihr dann kurz zu: „Bin gleich wieder da. Warte hier!“ Wenn ich
mich dann ausgetobt und meine „Geschäfte“ verrichtet hatte, dann trotteten wir beide zurück nach Hause, wo
mir ein Napf voll köstlichen Fressens serviert wurde. Während meines Schläfchens setzte sich die Menschenfrau
oft an ihren Computer und machte dort klappernd Home-Office, was auch immer das war, mir war es recht.
Foto: Susi Menzel
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Monatelang waren wir beide glücklich darüber, dass wir uns gefunden hatten. Ich war davon überzeugt, dass das Wort
„Corona“ Glück bedeutete, denn das hatte ich mit der Menschenfrau bekommen.
Doch dann hieß es plötzlich: alles wird wieder normal. Die Menschenfrau freute sich ganz besonders doll und ich als
ordentlicher Hund freute ich mich mit ihr, obwohl ich ehrlicherweise nicht
die geringste Ahnung hatte, was dieses „normal“ sein sollte. Aber das erfuhr ich leider schon bald.
Die Frau ging zur Arbeit, was bedeutete, dass sie den ganzen Tag fort war. Ich blieb allein zuhause. Den ersten
Tag fand ich das zwar schlimm, aber als sie nach Hause kam, war alles vergessen und ich begrüßte sie fröhlich.
Wir machten gleich einen langen Abendspaziergang. Irgendwie hatte ich bis abends durchgehalten, aber gerade
als wir vor der Haustür waren, musste ich auf der Stelle meine Geschäfte erledigen. Die Frau schimpfte laut,
weil sie das wieder sauber machen musste.
Schon den nächsten Tag kam sie noch später und ich hatte es nicht mehr aufhalten können.
Der Haufen lag mitten im Wohnzimmer. Sie schimpfte wie verrückt. Es tat mir ja auch leid,
aber ich konnte doch nichts dafür. Mein Körper war durch sie auf vier oder fünf Spaziergänge
ausgerichtet worden und nicht auf nur einen Gang am Abend. Das konnte kein Hund aushalten. Auch
morgens, bevor die Menschenfrau zur Arbeit ging, gingen wir nur einige Minuten lang hinaus. Sobald
ich mein „Geschäft“ erledigt hatte, ging es wieder hinein und ich blieb bis zum Abend allein in Wohnung.
Natürlich war mir langweilig. Ich war ein junger Hund und war es inzwischen gewohnt, meine Muskeln zu trainieren und
mich auszutoben. Jetzt war ich wieder zum Nichtstun verurteilt, so wie schon am Anfang meines Lebens im Stall.
Im Zwinger des Tierheims hatte ich auch wenig zu tun, aber dort hatte ich wenigstens etwas Abwechslung und
Hundenachbarn und viele unterschiedliche Gerüche, wenn auch wenig Auslauf. Hier in der Wohnung passierte
nichts – absolut gar nichts. Ich hatte das Gefühl, ich würde verrückt. Dadurch wurde ich sehr, sehr unzufrieden
und sehr viel ungestümer. Ich spielte mit dem Sofa, den Kissen und den Türen. Besonders viel Spaß machten die
Klorollen, die wehrten sich wenigstens ein bisschen. Damit konnte die Menschenfrau nicht umgehen. Sie wurde immer
ruppiger und schimpfte ständig, weil ich dauernd in die Wohnung machte. Es war so schrecklich! Ich konnte es doch
nicht mehr aushalten. Und Hunger hatte ich auch. In den letzten Monaten hatte sie mir mehrmals am Tag Futter gegeben.
Klar, man kam auch mit einer Mahlzeit am Tag aus, aber ich war es nicht mehr gewohnt. Außerdem hatte sie mir ein
Leben gezeigt, in dem Mensch und Hund mit viel Freude zusammenlebten. Was war nur passiert, dass es jetzt so anders
war. Hieß Corona vielleicht doch nicht „Glück“? Hatte ich etwas falsch gemacht? Vor Trauer und Enttäuschung heulte
ich sehr oft auch am Tag. Manchmal schrie ich auch vor Angst, denn die Frau, die bisher so nett zu mir war, hatte
manchmal dieses wütende Gesicht, dass damals die Menschen im Stall hatten, bevor sie mich schlugen.
Foto: Susi Menzel
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Eines Tages, als die Menschenfrau spätabends müde nach Hause kam, nutzte ich die Gelegenheit, sie in der Haustür
umzuwerfen. Ich rannte wie der Teufel hinaus, sprang über den Gartenzaun und verschwand in der Dunkelheit. Es
dauerte eine Weile, bis ich mich zurechtfand. Ich folgte meinen früheren Markierungen bis zu dem Waldweg und
fand einen Unterschlupf unter einem Busch. Am nächsten Morgen guckte ich mich erst einmal um und erkannte
gleich das Feld, auf dem ich so oft so glücklich hin und her gerannt war. Irgendwann bekam ich Hunger. Bis
dahin kannte ich die Jagd nicht. Aber mein knurrender Magen ließ mich schnell lernen, Beute zu machen. Nach
einigen Wochen, in denen ich in Wald, Feld und Siedlungen herumstreunerte und mich mehr oder weniger gut
durchschlug, passierte das Unglaubliche: ich roch den wunderbaren Geruch der Pflegerin aus dem Tierheim,
die ich so gern gemocht hatte. Ich war mir ganz sicher, dass sie es war und deshalb postierte ich mich
vor dem Haus. Und tatsächlich: da kam sie! Ich begrüßte sie überschwänglich und warf sie fast um. Sie
erkannte mich auch sofort. „Lucky, das ist ja ein Wunder. Wir suchen dich schon so lange. Wo warst du
denn? Komm erstmal herein. Du hast bestimmt Hunger.“
Und wie ich den hatte. Ich verschlang gleich drei Näpfe voller Futter. Die Pflegerin knuddelte mich ausgiebig
und schmuste mit mir, wie sie es früher im Tierheim gemacht hatte, wenn sie etwas Zeit hatte. Sie erzählte mir,
dass die andere Menschenfrau mich als vermisst gemeldet hätte, aber auch gleich gesagt hatte, dass sie mich nicht
wiederhaben wollte. Ich wäre plötzlich unsauber und aggressiv, dass sie mit mir nicht mehr umgehen könne.
„Und weißt du was, Lucky! Jetzt bleibst du bei mir. Das ist schon abgesprochen, denn ich war mir sicher,
dass du wieder zu uns kommen würdest. Tagsüber kannst du mit ins Tierheim kommen. Dann bist du nicht so
lange allein. Das war doch wohl das Problem – oder? Da kann die andere Frau erzählen, was sie will. Du
warst plötzlich viel zu lange allein. Und das hat dich an die Zeit im Stall erinnert, nicht wahr? Und
weißt du was, ich habe dich so furchtbar vermisst, du wilder Kerl! Noch einmal lasse ich dich nicht gehen. Ab jetzt gehören wir zusammen!“
Foto: Susi Menzel
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Sie lachte und ich johlte vor Freude. Lea und Lucky forever. Und so hatte Corona doch noch etwas Gutes…
Lucky hatte Glück, wie sein Name schon sagt. Die Tierpfleger würden am liebsten alle Tiere mit nach
Hause nehmen, aber das geht natürlich nicht. Darum wünsche ich allen Tieren, dass sie ein endgültiges Zuhause finden, in
dem sie liebevoll und artgerecht leben dürfen und dass sie Menschen finden, die sie nicht nur als Zeitvertreib
während des Corona-Lockdowns zu sich geholt haben.
Das Gleiche gilt natürlich auf für Weihnachten und Ostern. Zu den Feiertagen werden auch oft Tiere verschenkt, mit denen nach den Feiertagen oftmals niemand
mehr etwas anfangen kann.
Susi Menzel, Weihnachten 2020
Zusatz im Oktober 2023: Es kam schlimmer als in der Geschichte beschrieben. So viele Tiere wurden kurz nach "Corona" wieder abgegeben. Die Tierheime
bersten über und können keine mehr aufnehmen.
Der Ukraine Krieg mit Russland, der zu unsagbar hohen Energiekosten und Lebenshaltungskosten führte,trug noch dazu bei, dass unglaublich viele
Tiere ausgesetzt wurden. Es ist so traurig, dass Menschen so herzlos sein können und ihr Tier einfach seinem Schicksal überlassen, obwohl die meisten
Tiere sich in der Wildnis gar nicht auskennen und deshalb auch kaum eine Überlebenschance haben.
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